Donnerstag, 25. April 2024

Junge Schule

 Schülerinnen und Schüler machen Schule. Das nahm die Schülervertretung an der Willy-Brandt-Schule in Styrum an einem von ihr organisierten Projekttag zum Thema Diskriminierung, sexualisierte Gewalt und Stress beim Wort.

Nachdem sie sich selbst mit einer Schulung darauf vorbereitet hatten, boten die Mitglieder der Schülervertretung ihren Mitschülern Workshops zu den genannten Themen an und präsentierten deren Ergebnisse am Abend des Projekttages der über die Schulgemeinde hinausgehenden interessierten Öffentlichkeit im Rahmen eines Marktes der Möglichkeiten.

"Was ihr heute hier gemeinsam erarbeitet habt zeigt uns, dass Rassismus und Diskriminierung an unseren Schulen keinen Platz habt. Deshalb: Macht weiter so!" lobte Bildungsdezernent David Lüngen das Enagagement der Schülerinnen und Lehrer, das durch die Assistenz der Lehrkräfte und externer Fachleute der Mülheimer Stadtverwaltung und der Mülheimer Sozialverbände unterstützt worden war.

Im Mittelpunkt der abschließenden Präsentation standen ein Schüler-Theaterstück, dass Mülheimer Opfer des Holocaust in Erinnerung rief und das Einreißen einer aus Pappkartons gebauten Mauer, hinter der eine vom Essener Bildhauer Roger Löcherbach geschaffene Holzskulptur Willy Brandt freigab. Zweifellos wäre Willy Brandt stolz auf das Engagement der Jugendlichen an der 1986 gegründeten und seit 1992 nach ihm benannten Schule gewesen. 

„Wir haben uns besser kennengelernt und Mauern in unseren Köpfen abgebaut und wir haben gezeigt, dass Diskriminierung, Rassismus und sexualisierte Gewalt viele Gesichter haben können“, bilanzierte Schülersprecherin Farida Kepekpassi.

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Samstag, 20. April 2024

Wo die Kumpel zuhause waren

 Der Mülheimer Bergbau ist Geschichte. 1966 machte mit Rosen Blumen gelle die letzte Zeche dicht Punkt Mülheim war damals die erste Bergbau freie Stadt des Ruhrgebietes. In einer Zeit als noch rund 3000 Bergleute auf den Mülheimer Zechen Humboldt, Wiesche, Sellerbeck und Rosenblumendelle arbeiteten, begann der Mülheimer Bergwerksverein 1899 mit dem Bau der Colonie Wiesche. Der Name war Programm. In der Siedlung, die bis 1911 fertiggestellt wurde, fanden die Bergleute der Zeche Wiesche und ihre Familien ein preiswertes zu Hause inklusive Garten, Hof und Schweinestall. Doch das hatte seinen Preis.

Zwei Seiten der selben Medaille 

Wer politisch aufmüpfig wurde, streikte oder überzogene Lohnforderungen stellte, riskierte mit seinem Arbeitsplatz auf der Zeche Wiesche auch seinen Wohnraum in der Colonie. Denn der Arbeits- und der Mietvertrag waren zwei Seiten derselben Medaille. "Der Bergmann muss sich auch zu Hause wohlfühlen, damit er seine Arbeit gut und gerne tut", begründete der Industrielle Hugo Stinnes den Bau der Colonie Wiesche, die heute aus 106 Doppelhäusern besteht. Heute leben nur noch wenige ehemalige Bergleute in der Siedlung Mausegatt und Kreftenscheer: Die Straßennamen gehen auf ehemalige Kohlenflöze der Mülheimer Zechen zurück.

Erinnerung an den Bergbau

Loren und eine 2006 vom Mülheimer Bildhauer Jochen Leyendecker geschaffene Bergmannsskulptur weisen am Siedlungseingang auf die Geschichte der ehemaligen Bergmannssiedlung an der Schnittstelle zwischen Heißen und Holthausen hin. Die meisten Menschen, die heute in den Häusern an der Mausegattstraße und an der Kreftenscheerstraße zu Hause sind, sind die Erben ehemaliger Bergmannsfamilien oder sie haben sich als Zugezogene ein ehemaliges Zechenwerkshaus von ehemaligen Bergmannsfamilien gekauft. So sieht der Strukturwandel aus.

Wirtschaftlicher Strukturwandel

Nachdem mit Rosenblumendelle 1966 die letzte Zeche Mülheims stillgelegt worden war, verkaufte Stinnes auch seine Bergmannssiedlung. Eine Bürgerinitiative, aus der die heutige Siedlergemeinschaft hervorgegangen ist, sorgte 1977/78 dafür, dass die damaligen Bewohner zwischen einem Vorkaufsrecht zum Vorzugspreis oder einem lebenslangen Mietrecht wählen konnten. Die meisten der Bewohner entschieden sich für den Kauf ihres Häuschens, auch wenn das viel Arbeit und Geld für die Modernisierung des nicht mehr zeitgemäßen Whnraums in der alten Zechensiedlung bedeutete.

Vom Plumpsklo zum Badezimmer

Erst Mitte der 1950er Jahre wurde die Mausegattstraße asphaltiert. Erst Anfang der 1960er Jahre bekamen die Menschen in der Siedlung ein eigenes Bad. Bis dahin waren das Duschen auf der Zeche und das samstägliche Zinkwannenbad in der Küche, nebst Plumpsklo für die Bergmannsfamilien, die sich selbstironisch auch als Püttologen bezeichneten, Standard. Das Badewasser wurde samstags auf dem Herd heiß gemacht. Die Sickergrube des Plumpsklos wurde regelmäßig von der Zeche ausgepumpt.

Bis Mitte der 1980er Jahre, als die Siedlung unter Denkmalschutz gestellt wurde, wurde in allen Häusern noch mit Kohle geheizt. Das sogenannte Bergmannsdeputat (125 Zentner Kohle pro Jahr) machte es möglich. Dabei arbeiteten viele ehemalige Mülheimer Bergleute damals schon bei den Mannesmannröhrenwerken, die ab 1970 durch das deutsch-sowjetische Erdgasröhrengeschäft eine Hochkonjunktur mit rund 15.000 Arbeitsplätzen erlebte.

Erstaunlich progressiv

Hugo Stinnes und August Thyssen, die Mülheimer Industriellen, die 1898 zusammen mit dem Bankier Leo Hanau den Mülheimer Bergwerksverein gegründet hatten und in seinem Auftrag die heutige Mausersiedlung errichten ließen, waren bekanntermaßen Gewerkschaftsfresser, auch wenn Hugo Stinnes 1918 mit dem Gewerkschaftsführer Carl Legien für die deutschen Arbeitgeber ein Abkommen aushandelte, das die Gewerkschaften als Tarifpartner und als Vertretung der Arbeiter anerkannte und der Einführung des Achtstundentages zustimmte, um damit im Gegenzug die Sozialisierung der deutschen Wirtschaft und damit die Enteignung der deutschen Unternehmer zu verhindern. Aber ihre Idee, als Arbeitgeber für ihre Arbeiter preiswerten Wohnraum zu schaffen, der sie ihren Arbeitsplatz fußläufig erreichen ließ, wirkt heute geradezu progressiv. Angesichts hoher Mieten und Lebenshaltungskosten würde man sich manchmal jene Unternehmer zurückwünschen, die es als ihre Pflicht ansahen, ihren Arbeitern, natürlich aus auch im eigenen Interesse, ein Dach über den Kopf zu verschaffen. Heute wissen wir, dass preiswerter Wohnraum, verbunden mit einem guten sozialen Umfeld, wie es die heutige Mauseganttsiedlung bietet, einen sozialen und wirtschaftlichen Standortvorteil darstellt, wenn es darum geht, in einer demografisch gewandelten Gesellschaft darum geht, Arbeitskräfte zu gewinnen und zu behalten.
 gewinnen und zu behalten.

Donnerstag, 18. April 2024

Planet Ozean

 1929 als Gasbehälter errichtet, dient der 117 Meter hohe Gasometer in Oberhausen seit 30 Jahren als extravaganter Ausstellungsraum. Dieser Ausstellungsraum hat es in sich. "Schauen Sie immer auf den Boden. Denn wir haben hier mit den Widrigkeiten eines alten Industriebaus zu kämpfen", sag Gästeführerin Ramona Mohr mit Blick auf das tückische Bodenrelief, inklusive Stahlträgern, in einem dunklen Raum, in dem nur die Exponate von Scheinwerfern angestrahlt werden. 

Noch bis Ende des Jahres sind dort mehr als 200 großformatige Fotografien und Objekte aus der Meeresfauna und Meeresflora zu sehen, Wer mit Kulturmanagerin Ramona Mohr, die sich als nebenberufliche Gästeführerin das Wissen einer Meeresbiologin angeeignet hat und es anschaulich an die Teilnehmenden ihrer 90-minütigen Führungen weitergibt, muss ihr Recht geben, wenn sie mit Blick auf unseren blauen Planeten Erde sagt: "Angesichts der Tatsache, dass 70 Prozent der Erdoberfläche mit Wasser bedeckt ist, müsste die Erde eigentlich Planet Ozean heißen."

Diesen Titel haben die Ausstellungsmacher aus dem Gasometer denn auch ihrer aktuellen Schau gegeben, die faszinierende und zugleich auch erschreckende Einblicke in die fünf Weltmeere gibt, die zwischen 4000 und 11.000 Metern tief sind. Der tiefste Punkt des Planeten Ozean ist der Mariannengraben, benannt nach der spanischen Königin Anna Maria von Österreich. Der Imperialismus des 17. Jahrhunderts lässt grüßen.

Ein bezeichnendes Licht auf den Imperialismus heutiger Tage, der auf den Weltmeeren zum Beispiel in Form von Kreuzfahrtouristen, überbevölkerter und durch Bettenburgen flankierten Meeresstrände an der Costa Brava oder  in Person asiatischer Gourmets mit Vorleibe für Haifischflossensuppe für 80 Euro, pro Teller, daher kommt.

Wer zum Beispiel das Kreuzfahrtschiff sieht, dass durch die Lagune fährt und dabei den venezianischen Dogenpalast um das Doppelte überragt, braucht kein Statiker zu sein, um zu begreifen, dass der so erzeugte Wellengang die ohnehin maroden und aus dem 13. und 16. Jahrhundert stammenden Fundamenten Venedigs zusetzt und dessen ohnehin bis 2100  befürchteten Untergang beschleunigt. 

Nach mir die Sintflut. Das scheinen auch jene Zeitgenossen zu denken, die sich sündhaft teure und buchstäblich auch sündhaft hergestellte Haifischflossensuppe schmecken lassen. Wenn Ramona Mohr berichtet, dass die im Meer gefangenen Haie an Bord der Fangschiffe brutal um ihre Flossen gebracht und anschließend schwer verwundet und manövrierunfähig ins Meer zurückgeworfen werden, wo sie dann auf den Meeresboden absinken und dort langsam und qualvoll ersticken, raubt das auch dem profanen Fischstäbchenesser den Atem.

Zum Gasometer

Montag, 15. April 2024

Heiße Nächte

 "Heiße Nächte"! So heißt die neueste Komödie aus der Feder von Martina Rudziok, die am 13 April im Zimmertheater des Arteliers Rudziok am Heelweg 10 in Winkhausen Premiere hatte. Wer diesen Abend mit den Schauspielerinnen Andrea Hagemeier-Gilga (als Brunnhilde), Ines Klappers (als ihre Nichte Jennifer) und Martina Rudziok (als Brunhildes beste Freundin Karla) erleben durfte, kann die von ihrem Wortwitz und ihrer temporeichen Situationskomik lebende Komödie dem geneigten Publikum nur wärmstens empfehlen.

In den "Heißen Nächten" geht es um Wunsch und Wirklichkeit dreier Frauen, von denen zwei als Mittfünfzigerinnen mit den Risiken und Nebenwirkungen der Wechseljahre zu kämpfen haben. Während sie die Hitze der Nacht in ihrem Liebesleben schmerzlich vermissen müssen, machen ihnen ihre Hitzewellen und ihre Schlaflosigkeit das Alltagsleben schwer. Als Dritte im Frauenbunde versucht die Nichte ihre Tante und deren beste Freundin auf Trab zu bringen und das Beste aus ihrem fortgeschrittenen Leben zu machen. Es mangelt ihr nicht an guten und wohlfeilen Ratschlägen, die manchmal auch als Schläge und manchmal auch als Bumerang daher und zurückkommen.
Denn auch als Frau, die noch weit von den Wechseljahren entfernt ist, erlebt man in Liebesdingen und anderen Lebenslagen nicht nur angenehme Überraschungen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn es um die Risiken und Nebenwirkungen des anderen Geschlechts geht.

Kurzweilige Unterhaltung

90 Theaterminuten vergehen im kleinen und feinen Zimmertheater, in dem 25 Zuschauerinnen und Zuschauer Platz finden, vergehen angesichts der weiblichen Spitzfindigkeiten und Raffinessen wie im Flug. Sie trainieren die Lachmuskeln und sorgen damit beim geschätzten Publikum für die Erhöhung der sozialen Resilienz im Sinne der Erkenntnis, die der Schriftsteller und Satiriker Joachim Ringelnatz einst so formuliert hat: "Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt." Insofern erkennen auch die Protagonistinnen der jüngsten Rudziok-Komödie, dass das Leben eine Baustelle ist und bleibt. Egal, wie schön man es sich redet, so muss man auf der Baustelle des Lebens immer wieder erkennen, dass der Mensch, ob weiblichen oder männlichen Geschlechts, alles andere als perfekt ist. Und so zeigen und die drei großartigen Darstellerinnen auf der keinen Bühne des Zimmertheaters am Heelweg, mit ihren urkomischen Schlagfertigkeiten, dass die größte Lebenskunst darin besteht, in jeder Lebenslage und in jedem Lebensalter, aus dem allzu menschlich imperfekten hier und jetzt das Beste zu machen. Nicht von ungefähr war es ein Komödienregisseur, Billy Wilder, der aus seinen fröhlichen Lebensweisheiten, zu denen auch die Erkenntnis gehört: "Altern ist nichts für Feiglinge", unsterblich schöne Filmkomödien, wie: "Manche mögen's heiß auf die Kinoleinwand und in die Herzen seiner Zuschauerinnen und Zuschauer zauberte. Hätte Wilder die Premiere von "Heiße Nächte" im Artelier Rudziok noch miterleben können, hätte er sich sicher die Filmrechte der Komödie gesichert.

Gut zu wissen

Die Komödie "Heiße Nächte" ist am im Atelier Rudiok an der Hellweg 10 in Mülheim-Winkhausen noch einmal an folgenden Terminen zu sehen.

- Freitag, 26.04.24, um 19:30 Uhr
- Sonntag, 26.05.24, um 15:00 Uhr
- Freitag, 07.06.24, um 19:30 Uhr

Der Eintritt ins Theatervergnügen kostet 14 €. Aufgrund des begrenzten Platzangebotes ist eine telefonische Anmeldung bzw. Reservierung unter der Rufnummer 0208 444 209 48 oder online unter: www.artelier-rudziok.de erforderlich.

Zum Artelier Rudziok



Donnerstag, 11. April 2024

Das walte Hugo

 Vor 100 Jahren starb der Mülheimer Industrielle Hugo Stinnes. Dass er am 10. April 1924 an den Folgen einer misslungenen Gallenblasenoperation im Alter von 54 Jahren sterben musste, zeigt Reichtum schützt vor Unglück nicht.

Reich wie Stinnes

"Reich, wie Stinnes!" oder: "Das walte Hugo!", waren auf dem Höhepunkt seines unternehmerischen Schaffens in Deutschland ein geflügeltes Wort. Seine Zeitgenossen sahen den 1870 in Mülheim geborenen Hugo Stinnes als "den König an der Ruhr" und sagten ihm nach: "Er kauft Unternehmen, wie andere Leute Briefmarken." Tatsächlich war Stinnes ein geschickter Sanierer, der auch marode Unternehmen wieder auf Gewinnkurs bringen und so einen vertikal und international organisierten Mischkonzern mit mehr als 4500 Unternehmen und rund 3000 Betriebsstätten aufbauen konnte.

In seinem Todesjahr beschäftigte Hugo Stinnes, der sich selbst als "Kaufmann aus Mülheim" bezeichnete, 600.000 Menschen. Doch auf seinem Sterbebett warnte er seine Erben: "Meine Kredite sind Eure Schulden!" Doch sein namensgleicher Sohn und Nachfolger an der Spitze des Stinnes-Konzern schlug die Mahnung des Vaters in den Wind, sich auf das Kerngeschäft, den Kohlenhandel und die Kohlenförderung zu beschränken und alle anderen Unternehmen des Konzerns zu verkaufen. 

Schon im Jahr nach dem Tod von Hugo Stinnes geriet sein Konzern in finanzielle Schieflage und unter die Kontrolle amerikanischer Geldgeber.

In den Fußstapfen seines Großvaters

Zufall der Geschichte. Hugo Stinnes wurde genauso alt, wie sein Großvater Mathias Stinnes, der 1845, ebenfalls mit nur 54 Jahren gestorben war. Ebenso wie sein Großvater, der sein Geld als Kohlenhändler, Zechenbesitzer und Reeder verdient hatte, gehörte sein Enkel dem Mülheimer Stadtrat an und war mit seinem Mülheimer Industriellen Kollegen August Thyssen der größte Steuerzahler der Stadt.

Mit August Thyssen und dem Mülheimer Bankier Leo Hanau gründete Stinnes 1897 den Mülheimer Bergwerksverein und ließ ab 1899 die Colonie Wiesche errichten, in der die Bergleute der gleichnamigen Heißener Zeche und deren Familien ein Zuhause fanden. "Der Arbeiter muss sich auch zuhause wohlfühlen, damit er seine Arbeit gut und gerne tut", wusste Hugo Stinnes. Und er wusste auch, dass Werkswohnungen mit Gärten, Ställen und Höfen ein probates Mittel waren, um Arbeiter an ihren Arbeitgeber zu binden und sie von überzogenen Lohnforderungen, Streiks und gewerkschaftlichem Engagement abzuhalten.

Der Pragmatiker und Pionier

Stinnes kannte den Arbeitsalltag der Bergleute. Im Rahmen seiner kaufmännischen und bergbautechnischen Ausbildung war er 1890 selbst als Bergmann auf Wiesche eingefahren. Von ihm ist auch die Selbsterkenntnis überliefert: "Wäre ich als Arbeiterkind geboren, wäre ich wahrscheinlich ein Arbeiterführer geworden." Zu dieser Erkenntnis gehörte auch sein Engagement als Stipendiengeber für begabte, aber materiell minderbemittelte junge Menschen.

Doch Hugo Stinnes war Spross einer Unternehmerfamilie und hatte die Ambition, als Unternehmer Großes zu leisten. Dabei war Pragmatismus sein prägender Wesenszug. Seine Ausbildung und sein Studium in Mainz und Berlin brach er ab, als er den Eindruck gewonnen hatte, alles gelernt zu haben, was er als Unternehmer wissen müsse.

In atemberaubender Dynamik wuchs sein 1892 mit einem Mitarbeiter gegründetes Unternehmen zu einem branchenübergreifenden und internationalen Konzern heran. Mit August Thyssen war er 1898  maßgeblich an der Gründung des bis heute bestehenden und für seine Anteilseigner gewinnbringenden Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk beteiligt.

Auch politisch war Stinnes, der von 1918 bis 1924 dem Deutschen Reichstag angehörte, ein Pragmatiker. Als Nationalliberaler lehnte er bis zum Ende des Deutschen Kaiserreiches die Gewerkschaften ab, weil er sich von ihnen in seiner unternehmerischen Handlungsfreiheit beschnitten sah. Doch unter dem Eindruck der Novemberrevolution von 1918 schloss er sich der von Gustav Stresemann gegründeten national- und wirtschaftsliberalen Deutschen Volkspartei an und wurde zum Verhandlungsführer der deutschen Arbeitgeber, um mit den Gewerkschaften einen historischen Kompromiss auszuhandeln.

Während die von Carl Legien angeführten Gewerkschaften auf die Sozialisierung der Wirtschaft und damit auf die Enteignung der Unternehmer verzichteten, erkannten Stinnes und seine Arbeitgeberkollegen die Gewerkschaften als Tarifpartner und damit als legitime Vertretung der Arbeitnehmer an. Hinzu kam die von den Gewerkschaften schon lange geforderte Einführung des Achtstundentages.

Umstrittener Unternehmer und Politiker

In seiner letzten Lebensphase war Hugo Stinnes, der sich auch in die Reparationsverhandlungen mit den alliierten Siegermächten des Ersten Weltkrieges einschaltete, politisch umstritten.

In der Kritik stand Stinnes als "Inflationskönig", der seinen kreditabhängigen Konzern im Hyperinflationsjahr 1923 konsolidieren konnte. Kritisiert wurde aber auch seine politische Nähe zu den Putschisten Wolfgang Kapp, dem er auf seinem schwedischen Landgut Asyl gewährte und mit dem Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff, dessen gemeinsamer Putschversuch mit Adolf Hitler im November 1923 gescheitert war. Stinnes liebäugelte mit einer Diktatur auf Zeit, weil die politischen Mühlen der Republik für ihn zu langsam mahlten. Adolf Hitler, den er 1923 traf, lehnte Stinnes aber als gefährlichen politischen Fantasten ab.

Auch wenn 100 Jahre nach dem Tod von Hugo Stinnes sein einstiger Weltkonzern Wirtschaftsgeschichte ist, wirken die aus der Familie Stinnes hervorgegangenen Stiftungen als Geldgeber für soziale und kulturelle Zwecke bis heute in unserer Stadtgesellschaft segensreich. Mehr über Hugo Stinnes


Zum Autor & Zur Cläre- und Hugo-Stinnes-Stiftung & Zur Leonhard-Stinnes-Stiftung

Freitag, 5. April 2024

Schon einmal wieder aufgemacht

 Als Ruhrbastion wurde er am 8. Juli 1927 eröffnet. Doch der Volksmund taufte ihn schon bald in "Wasserbahnhof" um. Errichtet auf einem ehemaligen Werft- und Schlachthofgelände wurde er als Start- und Zielpunkt der Weißen Flotte zu einem Mülheimer Wahrzeichen.

Als der Urlaub noch vor der Haustür stattfand, ließen sich Ende der 1920er Jahre bis zu 500.000 Fahrgäste von den damals acht Schiffen der Weißen Flotte von deren Kapitänen mit auf die Reise nach Kettwig oder Duisburg nehmen.

Doch die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg unterbrachen die Erfolgsgeschichte der Weißen Flotte und des Wasserbahnhofes. Nach dem Krieg quartierten sich dort Offiziere der britischen Besatzungsarmee und machten den Wasserbahnhof zu ihrem Club.

Doch am 7. April 1949 bekamen die Mülheimerinnen und Mülheimer ihren Wasserbahnhof, wie es in der Lokalpresse hieß, "als angenehme Erholungsstätte zurück." Nicht nur Oberbürgermeister Heinrich Thöne freute sich vor 75 Jahren darüber, "dass wir jetzt endlich wieder Herr im eigenen Haus des Wasserbahnhofes sind." Und Baurat Borchert ließ beim Eröffnungsfrühstück im Wasserbahnhof mit seinen 600 Sitzplätzen keinen Zweifel daran, dass die städtischen Handwerker 66 Tage lang alle Hände voll zu tun hatten, um die Spuren "des ungezwungenen Soldatenlebens" im Wasserbahnhof zu beseitigen.

"Was unsere Handwerker geleistet haben, kann sich bei den zukünftigen Gästen sehen lassen", lobte die Lokalpresse und hob in diesem Zusammenhang den Lichterglanz hervor, den die neue Außenbeleuchtung des Wasserbahnhofes auf die Wasserfläche der Ruhr zaubere. Nicht alle, die den Wasserbahnhof in den nachfolgenden Jahrzehnten gastronomisch bewirtschafteten, erfüllten den Wunsch Heinrich Thönes nach "so gut kalkulierten Preisen, dass sich auch der Mann im einfachen Kleid hier wohlfühlen kann."

Doch heute, da der Wasserbahnhof nicht mehr der Stadt, sondern der Schweizer Conle-Gruppe gehört, kann man im dritten Jahr nach dem Ruhrhochwasser des Sommers 2021 noch nicht mal über die gastronomische Preisgestaltung im Wasserbahnhof streiten, Denn seit der Überflutung der Schleuseninsel ist im Wasserbahnhof der Ofen aus und die Küche kalt. "Wie lange noch?", fragt sich so mancher Mölmsche und wünscht sich eine zweite Renaissance des Wasserbahnhofes, wie einst im April 1949.

Donnerstag, 4. April 2024

Helden des Alltags

 Sie sind nicht von ungefähr die in allen Berufsimage-Umfragen hoch gepriesenen Helden des Alltags. Feuerwehrleute bringen sich in Gefahr, um Menschen zu retten und Schlimmeres zu verhindern, wenn es brennt.

Seit 100 Jahren gibt es in Mülheim eine Berufsfeuerwehr. Ihr 2019 aus dem Dienst geschiedener ehemaliger Chef Burkhard Klein hat zur Feier dieses Jahrestages jetzt eine Chronik des Mülheimer Brandschutzes vorgelegt, der unter dem Titel: "Von Spritzenmeistern, Pümpern und Gehilfen" im Verlag Stumpf & Kroessedey erschienen und für 29,50 Euro im Buchhandel erhältlich ist.

Klein, der von 1991 bis 2019 Teil der Mülheimer Feuerwehrgeschichte war, erinnert sich noch gut an große Einsätze der Mülheimer Berufsfeuerwehr, etwa beim Brand der Grillo-Villa im Uhlenhorst (1993), beim Großbrand am Dickswall (2008) oder an den Jahrhundert-Einsatz nach dem Pfingssturm Ela, der 2014 Bäume wie Streichhölzer knickte und umfallen ließ.

Besonders gerne erinnert sich der ehemalige Branddirektor an die Neugründung der Freiwilligen Feuerwehr im Jahre 2001 und an die Eröffnung der neuen Hauptfeuerwache an der Duisburger Straße 2010, die von einer Nebenwache an der Seilfahrt in Heißen komplettiert wird.

Angesichts von zwei Mülheimer Feuerwachen, einer Berufs- und einer Freiwilligen Feuerwehr, kann man es sich heute nicht mehr vorstellen, dass der Brandschutz in Mülheim bis zum 1. April 1924 allein auf den Schultern Freiwilliger Feuerwehrleute lastete, die größtenteils aus der Turnerschaft kamen. "Die Turner waren körperlich fit und hatten keine Probleme mit dem Leitersteigen", erklärt Feuerwehr-Chronist Burkhard Klein den Zusammenhang. Mülheims erste Freiwillige Feuerwehr war 1852 mit dem Inkrafttreten des Mülheimer Feuerschutzreglements entstanden. Zuvor galt das von der Bergischen Brandschutzordnung des Jahres 1555 festgelegte Prinzip: Im Brandfall hilft jeder jedem.

Am 1. April traten die ersten 18 Berufsfeuerwehrleute auf der Feuerwache an der Aktienstraße, dort, wo heute das Rotkruzzentrum steht, ihren Dienst an. Dort mussten sich die Feuerwehrmänner, die alle eine handwerkliche Berufsausbildung mitbrachten, den Platz mit der städtischen Strom- und Gasversorgung teilen. Erst ab 1960 hatte die Mülheimer Berufsfeuerwehr an der Aktienstraße eine neugebaute und moderne Feuerwache für sich.

Einer der ersten großen Einsätze, die Burkhard Klein, im Stadtarchiv recherchiert hat, war ein Tribünenbrand an der Rennbahn Raffelberg. Viel gefährlicher, als jeder Großbrand, waren die politischen Brandstifter der NSDAP, die auch in Mülheim ab März 1933 das Sagen hatten. Ihre Macht nutzten sie, um den 1924 vom Baurat zum Branddirektor umgeschulten Paul Sorge durch Mülheims SS-Chef Alfred Freter zum Feuerwehrchef zu machen, obwohl dieser keinerlei Qualifikationen für dieses Amt mitbrachte. Im Sinne der NS-Ideologie wurde Mülheims oberster Brandbekämpfer in der Reichspogromnacht 1938 in der Synagoge am Viktoriaplatz zum Brandstifter. 

Obwohl sich Freter Ende der 1950er Jahre in Duisburg vor Gericht für seine Tat verantworten musste, wurde er freigesprochen. Das Gericht begründete seinen Freispruch damit, dass es sich um "einen leichten Fall von Brandstiftung" gehandelt habe, der inzwischen verjährt sei. Seine Einschätzung begründete das Gericht damit, dass die Jüdische Gemeinde ihre 1907 eingeweihte Synagoge am 5. Oktober 1938, also gut einen Monat vor der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 an die Stadtsparkasse verkauft habe. Deshalb habe es sich bei der Synagoge zum Zeitpunkt der Brandstiftung nicht mehr um ein jüdisches Gotteshaus gehandelt.

Freter wurde nach dem Krieg nicht mehr in den Dienst der Mülheimer Berufsfeuerwehr eingestellt und arbeitete stattdessen bei einer Werksfeuerwehr in Duisburg.

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